Überfällige Zahlungen und offene Posten sind das Grauen für jeden Buchhalter. Noch grauenvoller wird es, wenn das Eintreiben der überfälligen Forderungen einem Kampf gegen Windmühlen gleicht.

Bei Amazon gibt es viele Windmühlen. Sie nennen sich „Rechnungen für Fehlmengen“ oder „Shortage invoices“. De facto sind das Rechnungskürzungen durch Amazon für vom Vendor nicht oder zu wenig gelieferte Ware. Dagegen ist grundsätzlich erstmal nichts einzuwenden, wenn es denn immer klar und nachvollziehbar wäre. – Ist es aber leider nicht!

Und es ist erst recht nicht einfach nachzuvollziehen, was denn mit der Ware passiert ist, die angeblich nicht im Amazon Lager angekommen ist.

In unseren 12 Jahren als Amazon-Agentur für Vendoren haben wir in viele VendorCentrals geblickt, verschiedenste Anforderungen geprüft, Prozesse auf den Prüfstand gestellt und bei der Optimierung geholfen. Wir schätzen, dass ein Vendor durch Shortage Invoices und Chargebacks bis zu 10 Prozent seines Amazon-Umsatzes verliert. Das drückt die Margen deutlich in den Keller.

 

Wie entstehen Shortage Claims?

Die Rechnungskürzungen entstehen dann, wenn es eine Diskrepanz gibt zwischen den Mengen, die Sie an Amazon berechnen und der Menge, die Amazon in seinen Fulfillment-Centern vereinnahmt hat. Die Abweichung führt zu einer „Purchase Quantity Variance (PQV) und zu einer Forderung von Amazon gegen Sie.

Das erscheint zunächst plausibel und logisch, aber der Teufel steckt im Detail.

Schauen wir uns das konkret an:

Eine Fehlmenge bei Ihren Lieferungen an Amazon kann verschiedene Ursachen haben:

  1. Sie als Lieferant haben tatsächlich weniger geliefert als bestellt, aber die volle Menge berechnet
  2. Auf dem Transportweg ist ein Teil der Sendung verloren gegangen
  3. Amazon ist ein Fehler bei der Einbuchung unterlaufen
  4. Falsche oder unklare Katalogdaten führen zu fehlerhaften Vereinnahmungen bei Amazon

Die richtigen Ursachen zu ermitteln und unberechtigte Kürzungen einzutreiben, ist eine Sisyphus-Arbeit, Amazon bietet zwar im VendorCentral verschiedene Dashboards und Daten zu dem Thema, die müssen aber erst aufwändig miteinander verknüpft werden und es sind zusätzliche Informationen aus anderen Systemen (z.B. Verpackungseinheiten oder BOLs und PODs der Speditionen) notwendig.

Um es dem Widerspruchs-Sisyphus einfacher zu machen, ist es wichtig zu verstehen, wie der Wareneingang bei Amazon funktioniert.
Es gibt keine klassische Wareneingangsprüfung, sondern die Vereinnahmung in den Fulfillment Centern beruht (wie immer bei Amazon) komplett auf Daten.

Ein typischer Ablauf sieht so aus:

Das bedeutet, viele Shortage Claims können schon im Vorfeld ausgeschlossen werden, wenn die internen Prozesse des Vendors zu 100% an die Amazon-Vorgaben angepasst sind.

Einige konkrete Ansätze sind:

  • Jeder Karton hat ein scanbares Kartoninhaltsetikett (SSCC) und die Daten werden mit der ASN an Amazon übermittelt
  • Die ASN wird an Amazon gesendet, bevor der Transport auf den Weg geht
  • Die Lieferung erreicht das Amazon FC innerhalb des Lieferfensters
  • Auf den VE-Kartons befinden sich keine Strichcodes für das einzelne Produkt

Eine saubere Prozesskette und die genaue Überprüfung, welches System welche Daten an Amazon überträgt (z.B. via EDI), kann die lästigen Rechnungskürzungen um bis zu 90% verringern und hilft gleichzeitig, Chargebacks zu vermeiden.

[box] Mini-Serie – Tipps aus der Praxis: In dieser Serie veröffentlichen wir laufend neue Erkenntnisse, Tipps und Insights und ergänzen diesen Blog-Beitrag ständig[/box]

 

Tipp 1: Amazon richtig verstehen

Amazon funktioniert anders als die meisten anderen Retailer. Es ist hochgradig automatisiert und legt auch nach über 20 Jahren noch immer ein rasantes Wachstum vor. Allein im Jahr 2021 hat Amazon weltweit seine Logistik-Kapazitäten verdoppelt!

Damit Auftragsbearbeitung und Lieferung von Ware zu Amazon reibungslos funktionieren, ist es wichtig, Amazon und seine Prozesse zu verstehen und die eigenen Abläufe an deren Vorgaben anzupassen.

Ja, das kann zeitaufwändig und nervig sein, aber wenn es einmal umgesetzt ist, läuft alles viel reibungsloser, die Strafzahlungen und Rechnungskürzungen werden sich drastisch reduzieren und auch der interne Aufwand wird deutlich abnehmen.


Tipp 2: Liefern innerhalb des Lieferfensters

Ja, ich weiß: Das von Amazon vorgegebene Lieferfenster ist knapp, sehr knapp… Gerade in den umsatzstarken Zeiten, zum Beispiel vor dem Prime Day, vor der Cyber Week oder vor Weihnachten sind die Transport-Kapazitäten eng und Lieferfenster nur schwer einzuhalten.

Trotzdem, und auch wenn es erstmal kurios klingt: Das Einhalten der Lieferfenster ist wichtig, um Shortage Claims zu vermeiden.

Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass Amazon immer auf Purchase Order (PO) Ebene abrechnet.

Wenn jetzt eine Lieferung außerhalb des Lieferfensters im Amazon Fufillment-Center eintrifft, kann es sein, dass die betreffende PO schon geschlossen ist. Das bedeutet, der Mitarbeiter im Wareneingang kann die erhaltene Ware nicht mehr auf diese PO buchen.

Was macht er?

Er nimmt sich einfach eine andere, noch offene PO, in der die gleiche ASIN enthalten ist und bucht den Wareneingang darauf. Das Ergebnis ist eine Fehlmenge in der bereits geschlossenen PO und eine Überlieferung in der zweiten PO. Amazon wird für die erste PO einen Shortage Claim eröffnen und Ihre Rechnung kürzen, aber keinen Hinweis auf die Überlieferung geben.

Tipps zum Vermeiden des Shortage Claims:

  • Optimieren Sie Ihren Auftragseingangs-Prozess, bearbeiten Sie die POs gleich früh als erstes.
  • Vermeiden Sie Lieferungen über Hubs. Ermitteln Sie, welche Mengen für Direktlieferungen nötig sind und passen Sie gegebenenfalls die Mindestordermengen an.
  • Prüfen Sie, ob sie sinnvoller Weise FTL (full truck load) versenden können und nutzen Sie dafür den Amazon Freight Service.

Tipp 3: Verpackungseinheiten und Um-Kartons:

Die Arbeit im Amazon Wareneingang ist ein stressiger Job. Paletten und Pakete stapeln sich, es rollt ständig Nachschub an – hier geht es um größtmögliche Geschwindigkeit.

Die eingehenden Kartons werden gescannt und dann zugeordnet. Wenn Sie Um-Kartons verwenden auf denen der Barcode des einzelnen Artikels abgedruckt ist, birgt das ein enormes Risiko für Fehlvereinnahmungen.

Der Mitarbeiter scannt in der Eile den Barcode, das Amazon System kennt diese EAN und ordnet sie dem Einzelartikel zu. Der Karton wird nicht geöffnet, sondern direkt im Lager einsortiert, da Amazon davon ausgeht, dass er eine Einheit des Einzelartikels enthält. Erst, wenn es eine Kundenbestellung gibt und dieser Karton über die Kontrollwaage im Warenausgang läuft, fällt auf, dass der Karton eigentlich mehrere Artikel enthält.

Wenn zum Beispiel die Verpackungseinheit des Artikels vier beträgt, bedeutet das, dass Amazon statt der vier nur einen Artikel einbucht und Sie erhalten für die restlichen drei einen Shortage Claim.

Tipps zum Vermeiden des Shortage Claims:

  • Vermeiden Sie Barcode-Label des einzelnen Produkts auf Umkartons
  • Verwenden Sie stattdessen Kartoninhaltsetiketten (GTIN)

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