Auch im Jahr 2021 sitzt bei vielen Herstellern noch die Angst mit am Tisch, wenn es um das Thema Online-Handel und Online-Marktplätze geht. Die Angst davor, dass die Verkaufspreise erodieren und das sich eine Preisspirale nach unten in Gang setzt.
Sehr oft wird gerade der größte Marktplatz – Amazon – kritisch beäugt. Immer wieder hören wir in Beratungsgesprächen “Amazon verkauft unsere Produkte zu billig”, “unsere Händler beschweren sich über die Amazon-Preise” und Ähnliches.
Doch mal Hand aufs Herz: Ist wirklich Amazon schuld?
Wenn schuldig heißt, dass Amazon den Preiskrieg beginnt, dann ganz klar nein. Wenn schuldig aber heißt, dass durch Amazon eine Markt- und Preistransparenz entstanden ist, wie man sie vorher noch nicht kannte, dann ja.
Denn Amazon macht nur sichtbar, was vorher im Argen lag: Die internationale Preisstrategie des Herstellers – oder das Fehlen der Selben.
Während es früher gar kein Problem war, dem Händler in Lüdenscheid einen anderen Bezugspreis zu geben als dem Händler in Freiburg und es auch meist nicht aufgefallen ist, wenn die italienische Vertriebsorganisation das Sortiment 30% günstiger verkauft hat als die deutsche – so schlägt das heute in Zeiten völlig transparenter Online-Marktplätze sofort durch.
Die Dumping-Gefahr im Netz nähert sich aus drei Richtungen:
- Der stationäre Händler ist nicht so stationär wie man denkt
- Der Großhändler versorgt nicht nur die kleinen Händler im Umkreis
- Amazon sourct seine Waren global
Der stationäre Händler als Preistreiber
Nicht erst seit Corona und den Lockdowns suchen kleinere Händler händeringend nach Verkaufsalternativen. Die Frequenzen in den Fußgängerzonen nehmen ab, die Umsätze schwinden, also sucht man sein Heil im Onlinehandel und wird Seller bei Amazon. Dort allerdings gibt es jedes Produkt nur einmal und alle Verkäufer versuchen, die berühmte Buybox zu erlangen.
“In den Einkaufwagen” – das ist die Buybox. In diesem Beispiel ist Amazon selbst der Verkäufer (Quelle: Amazon)
Alle anderen Händler können sich hinten anstellen, in unserem Beispiel 73 weitere Seller.
Deren nahezu einzige Chance, sich zu differenzieren und in die Buybox zu gelangen, ist der Preis. Und damit steht schon der erste Grund für die Preisspirale nach unten.
Der Großhändler erfindet sich neu
Großhändler hatten eine wichtige Funktion; sie waren Schnittstelle und Umschlagplatz zwischen Hersteller und lokalen Händlern. Diese Funktion rückt aber immer weiter in den Hintergrund, nicht zuletzt durch das Sterben vieler kleiner Händler und Ladengeschäfte. Umso mehr hat es uns bei Warenflussanalysen erstaunt, wie stark plötzlich der Umsatz eines Herstellers mit einem Großhändler gewachsen ist.
Bei genauerer Prüfung stellte sich heraus, dass es mitnichten die kleinen Händler waren, die eine zweite Blüte erlebt hatten, sondern dass der Großhändler über einen Vendor-Vertrag die Waren an Amazon verkauft. Dabei nutzte er seinen Preisvorteil und bot Amazon die Produkte sogar günstiger an, als es der Hersteller selber tat.
Damit wird die Preisspirale zwar nicht außen sichtbar, denn Amazon gibt den Einkaufsvorteil nicht weiter, aber der Hersteller vernichtet seine eigene Marge.
Amazon ist global
Amazon kauft seine Ware global ein. Bei uns in Deutschland bedeutet das; Amazon nutzt sein Pan-EU Netzwerk und sourct sowohl in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, UK (aktuell durch den Brexit eingeschränkt), aber auch in den neuen Standorten Polen und Schweden.
Es reichen schon wenige Prozentpunkt Differenz bei den “Landed Costs” (der Preis, zu dem die Produkte in den Amazon Fulfillment-Centern ankommen) und Amazon kauft nicht mehr bei seinem lokalen “Preferred Vendor”, sondern im europäischen Ausland.
Wenn jetzt die Landesorganisationen des Herstellers selbstständig agieren, vielleicht sogar als eigene Profit-Center organisiert sind, kann es sehr schnell passieren, dass sich das italienische Department über einen riesigen Sprung bei den Amazon-Umsätzen freut, aber die Waren komplett im deutschen Markt verschwinden und sich der deutsche Vertrieb wundert, wieso seine Umsätze rückläufig sind.
Vendor-Tools wie AMVisor zeigen solche Differenzen auf, aber ohne eine solche datengestützte Hilfe, erkennt man die Ursachen nur sehr schwer.
Die Lösung ist eine einheitliche europäische Preisstrategie
Ein englischer Kollege hat es mal schön formuliert:
“Amazon is the mirror of a brand’s distribution strategy”.
Amazon bringt Transparenz in den Markt und ist der Spiegel der Distributions- und Preisstrategie des Herstellers. Dinge, die lange im verborgenen lagen, kommen plötzlich ans Licht und der einzig gangbare und zukunftssichere Weg ist es, seine gesamte Preisstrategie zu hinterfragen und neu aufzustellen.
Das ist schwierig und wird in den meisten Unternehmen auf massive Widerstände stoßen, aber das Internet und Amazon gehen nicht wieder weg, die Transparenz bleibt.
Lieber Hersteller: Packen Sie es an, modernisieren Sie Ihre Vertriebs-, Preis- und Incentive-Struktur und Sie werden sehen, Ihr Business-Leben wird viel einfacher werden.